Samstag, 10. März 2018

Vollpfosten




Ich-sein ist anstrengend. Genauso anstrengend wie es vermutlich für alle anderen auch ist sie selbst zu sein. Genau so, nur anders eben. Und mit vertauschten Köpfen wäre die Sache auch nicht getan, denke ich und laufe mit meinem eigenen Kopf fast gegen eine Laternenstange. In der einen Hand meine getrockneten, ungeschwefelten Mangos in der anderen Hand einen spitzen und rauen Stein der in meiner Tasche liegt. Wenn ich nervös bin kralle ich mich gerne daran fest, so lange bis meine Hand ein wenig taub wird. Dann wird es unangenehm und ich ziehe meine Hand wieder aus der Jackentasche und schüttele sie ein bisschen, so als wäre da irgendwas Ekliges dran, was sich so abschütteln ließe. Ihr wisst was ich meine. Während ich also fast gegen die Laternenstange laufe, 100g beste Fairtrade-Ware in mich stopfe als gäbe es kein Morgen und mich gleichzeitig versuche mit einem lächerlichen Stein zu beruhigen, spüre ich diese Anstrengung und denke, 'ja in meinem Kopf ist es echt anstrengend'. Ja, so anstrengend, dass ich vielleicht hin und wieder absichtlich gegen Laternenstangen laufen sollte. Da mir direkt der tröstliche Gedanke kommt, dass es wahrscheinlich allen Menschen so geht, löst sich plötzlich der Vorgang und ich sehe einen Film wo alle Menschen ständig gegen Laternenstangen laufen und dabei denken 'bestimmt geht es allen so'. Da ich heute noch mit keinem Mensch gesprochen habe spüre ich den Impuls jemanden anzurempeln und mich zu informieren ob mein Kopfkino der Realität entsprechen könnte. 'Entschuldigung, möchten sie gerade auch gegen eine Laterne laufen?' 'ja?' 'dann tun wir es doch zusammen, sie von rechts, ich von links' und zack lägen wir beide mit voller Dröhnung auf dem Gehweg und niemand würde sich daran stören, weil es ja alle verstehen würden. Stattdessen passiert, was passieren musste und meine Hand wird taub und eklig. Eine Hintergrundmusik erklingt. 'shake it like a polaroid picuture'.



Zuhause lasse ich mein Leben Revue passieren, zumindest ein Teil davon. Deshalb kann ich auch sonst nichts machen und liege wie erstarrt auf dem Bett. Für andere könnte es so wirken als würde ich mich offenen Augen schlafen, tatsächlich arbeite ich härter als jemals zuvor. Das ist eher als Halbwahrheit zu verstehen, auch wenn alle wissen, dass ich das Wort Wahrheit entsprechend realitätsfremd einordnen würde. Aber wo war ich? Genau liegend auf dem Bett, da ist so als würden hundert Filme gleichzeitig abgespielt und so, als würde man andauernd von a nach b zappen und den Channel wechseln. Hin und her, vorwärts, rückwärts und wieder von vorne. Unfassbar wie lebendig alles sein kann, wenn der Körper gar nichts tut. Während mein Geist rennt, schlafen meine Körperteile. Das ist ein komisches Gefühl, aber es ist auch so als würde man sich wahrlos durchs Netz klicken, man kann einfach nicht aufhören. Am liebsten würde ich die wichtigsten Momente aufmalen oder abzeichnen um ihnen Fassung zu geben, aber was sind schon die wichtigsten? Und schon ploppt neben den hunderttausend Filmen ein kleines Ranking auf das im Sekundentakt wild vor sich hinblickt. Die Filme versuchen sich anzupassen aber scheinen sich auch nicht so richtig unterordnen zu wollen. Also tauchen hin und wieder Warnsignale in Form von konsistenten Bildern auf. Sie klingeln in meinem Kopf wie Rauchmelder.



Dann versuche ich es erneut, stelle mich auf die Matte und versuche wieder eins zu werden. Das ist kein leichtes Unterfangen wenn ich das Gefühl habe ich bestehe aus tausend verschiedenen Puzzle-Teilen die zum Teil von einem falschen Puzzlespiel kommen und nur aus versehen in dieser Körper-Box gelandet sind. Das Video trägt den Namen 'Self-Love' und noch bevor ich im herabschauenden Hund weiter vor mich hin existiere, sehe ich wie 10 Millionen Viewer gleichzeitig 'Self-Love' praktizieren und damit eine riesige Welle auslösen. Weil sie nicht zu Arbeit gehen steht alles still, weil alle im herabschauenden Hund sind und nur nach ihren Füßen gucken und sonst nichts. Kein Krieg, kein Gebrüll, selbst Babys und Kleinkinder, alle machen mit oder schauen zumindest irritierend aber zufrieden zu. Auf den Straßen kein Auto, keine Verschmutzung, weil alle gerade mit Selbstliebe beschäftigt sind. Kurzer Weltfrieden. Doch dann bricht der Hauptserver zusammen, die Liveübertragungen hängen und alle kollabieren langsam im Hund. 'Wie lange noch?' höre ich es schon von nebenan brüllen und irgendwo kommt auch ein verzweifeltes 'ich kann nicht mehr'. Irgendwann schon bald gibt der/die Erste auf und andere ziehen mit. Jeder einzelne Kopf ist voller Blut, jede Gesichtsfarbe irgendwie ungesund. Auch ich habe keinen Bock mehr, rolle mich erst ein, dann wieder auf, stehe kurz und lege mich dann wieder aufs Bett, drücke Play. Diesmal ein echter Film. Weil es auf Dauer auch gar nicht anders zu ertragen ist. 

Mensch-sein ist anstrengend. Das haben wir alle gemein. Doch die Ventile für Übermüdungs- und Abnutzungserscheinungen variieren, so dass am Ende doch niemand Niemand versteht. Oder wie Sophie Hunger fragen würde 'Niemand, was, was willst Du?'. Mein Ventil für zirkuläres Kopfkreisen und Körperauflösung begründet sich hier drin, im Aufschreiben, im Beschreiben von phantasierten Welten und realen Umständen, die sich zusammen mischen wie Kaffee mit Milch. Ein unterstätztes Spektakel (der Kaffee-Milch-Prozess).