Ich-sein
ist anstrengend. Genauso anstrengend wie es vermutlich für alle
anderen auch ist sie selbst zu sein. Genau so, nur anders eben. Und mit vertauschten Köpfen
wäre die Sache auch nicht getan, denke ich und laufe mit meinem
eigenen Kopf fast gegen eine Laternenstange. In der einen Hand meine
getrockneten, ungeschwefelten Mangos in der anderen Hand einen
spitzen und rauen Stein der in meiner Tasche liegt. Wenn ich nervös
bin kralle ich mich gerne daran fest, so lange bis meine Hand ein
wenig taub wird. Dann wird es unangenehm und ich ziehe meine Hand
wieder aus der Jackentasche und schüttele sie ein bisschen, so als
wäre da irgendwas Ekliges dran, was sich so abschütteln ließe. Ihr
wisst was ich meine. Während ich also fast gegen die Laternenstange
laufe, 100g beste Fairtrade-Ware in mich stopfe als gäbe es kein
Morgen und mich gleichzeitig versuche mit einem lächerlichen Stein
zu beruhigen, spüre ich diese Anstrengung und denke, 'ja in meinem
Kopf ist es echt anstrengend'. Ja, so anstrengend, dass ich
vielleicht hin und wieder absichtlich gegen Laternenstangen laufen
sollte. Da mir direkt der tröstliche Gedanke kommt, dass es
wahrscheinlich allen Menschen so geht, löst sich plötzlich der
Vorgang und ich sehe einen Film wo alle Menschen ständig gegen
Laternenstangen laufen und dabei denken 'bestimmt geht es allen so'.
Da ich heute noch mit keinem Mensch gesprochen habe spüre ich den
Impuls jemanden anzurempeln und mich zu informieren ob mein Kopfkino
der Realität entsprechen könnte. 'Entschuldigung, möchten sie
gerade auch gegen eine Laterne laufen?' 'ja?' 'dann tun wir es doch
zusammen, sie von rechts, ich von links' und zack lägen wir beide
mit voller Dröhnung auf dem Gehweg und niemand würde sich daran
stören, weil es ja alle verstehen würden. Stattdessen passiert, was
passieren musste und meine Hand wird taub und eklig. Eine
Hintergrundmusik erklingt. 'shake it like a polaroid picuture'.
Zuhause
lasse ich mein Leben Revue passieren, zumindest ein Teil davon.
Deshalb kann ich auch sonst nichts machen und liege wie erstarrt auf
dem Bett. Für andere könnte es so wirken als würde ich mich
offenen Augen schlafen, tatsächlich arbeite ich härter als jemals
zuvor. Das ist eher als Halbwahrheit zu verstehen, auch wenn alle
wissen, dass ich das Wort Wahrheit entsprechend realitätsfremd
einordnen würde. Aber wo war ich? Genau liegend auf dem Bett, da ist
so als würden hundert Filme gleichzeitig abgespielt und so, als
würde man andauernd von a nach b zappen und den Channel wechseln.
Hin und her, vorwärts, rückwärts und wieder von vorne. Unfassbar
wie lebendig alles sein kann, wenn der Körper gar nichts tut.
Während mein Geist rennt, schlafen meine Körperteile. Das ist ein
komisches Gefühl, aber es ist auch so als würde man sich wahrlos
durchs Netz klicken, man kann einfach nicht aufhören. Am liebsten
würde ich die wichtigsten Momente aufmalen oder abzeichnen um ihnen Fassung zu
geben, aber was sind schon die wichtigsten? Und schon ploppt neben
den hunderttausend Filmen ein kleines Ranking auf das im Sekundentakt
wild vor sich hinblickt. Die Filme versuchen sich anzupassen aber
scheinen sich auch nicht so richtig unterordnen zu wollen. Also
tauchen hin und wieder Warnsignale in Form von konsistenten Bildern
auf. Sie klingeln in meinem Kopf wie Rauchmelder.
Dann
versuche ich es erneut, stelle mich auf die Matte und versuche wieder
eins zu werden. Das ist kein leichtes Unterfangen wenn ich das Gefühl
habe ich bestehe aus tausend verschiedenen Puzzle-Teilen die zum Teil
von einem falschen Puzzlespiel kommen und nur aus versehen in dieser
Körper-Box gelandet sind. Das Video trägt den Namen 'Self-Love' und noch
bevor ich im herabschauenden Hund weiter vor mich hin existiere, sehe ich wie 10
Millionen Viewer gleichzeitig 'Self-Love' praktizieren und damit eine
riesige Welle auslösen. Weil sie nicht zu Arbeit gehen steht alles
still, weil alle im herabschauenden Hund sind und nur nach ihren
Füßen gucken und sonst nichts. Kein Krieg, kein Gebrüll, selbst
Babys und Kleinkinder, alle machen mit oder schauen zumindest
irritierend aber zufrieden zu. Auf den Straßen kein Auto,
keine Verschmutzung, weil alle gerade mit Selbstliebe beschäftigt sind. Kurzer Weltfrieden. Doch dann bricht der Hauptserver zusammen, die
Liveübertragungen hängen und alle kollabieren langsam im Hund. 'Wie lange
noch?' höre ich es schon von nebenan brüllen und irgendwo kommt
auch ein verzweifeltes 'ich kann nicht mehr'. Irgendwann schon bald gibt der/die
Erste auf und andere ziehen mit. Jeder einzelne Kopf ist voller Blut, jede Gesichtsfarbe irgendwie ungesund. Auch ich habe keinen Bock mehr, rolle mich erst ein, dann wieder auf, stehe kurz und lege mich dann wieder aufs Bett, drücke Play. Diesmal ein echter Film. Weil es
auf Dauer auch gar nicht anders zu ertragen ist.
Mensch-sein ist anstrengend. Das haben wir alle gemein. Doch die Ventile für Übermüdungs- und Abnutzungserscheinungen variieren, so dass am Ende doch niemand Niemand versteht. Oder wie Sophie Hunger fragen würde 'Niemand, was, was willst Du?'. Mein Ventil für zirkuläres Kopfkreisen und Körperauflösung begründet sich hier drin, im Aufschreiben, im Beschreiben von phantasierten Welten und realen Umständen, die sich zusammen mischen wie Kaffee mit Milch. Ein unterstätztes Spektakel (der Kaffee-Milch-Prozess).