Es ist Tag X deines Lebens und du stellst dir tatsächlich immer noch die
gleichen Fragen. Sie fangen mit einem leichten Kopfschmerz, Juckreiz und
Schluckbeschwerden an und enden mit übertriebenem Durchfall. Der Mist will raus
und weiß sich nicht anderes zu helfen. „Die Gesellschaft ist schuld“ zu denken
hilft da nicht viel, denn ich weiß es ja eigentlich besser. Die Krise ist eine
Wechselwirkung aus eigenen Anteilen und Umwelteinflüssen und ja,
höchstwahrscheinlich hat sie auch Auswirkungen auf meine Bindungsfähigkeiten.
Zusammen mit den weiter gegebenen Repräsentanzen und unbewussten Fantasien
meiner Mutter, die nicht nur ihre Feinfühligkeit sondern auch meinen Geist
vernebeln, plus meinem Trieb oder schöner formuliert meinem Temperament,
sozioökonomische Umstände nicht zu verachten, erklärt es eigentlich alles. Also wahrscheinlich auch die Krise. Die fröhliche Aussicht, dass Menschen wie ich
wahrscheinlich nie unter einer Midlife-Crisis leider werden, wirkt vermutlich
wenig aufheiternd, wenn wir stattdessen unserer halbes Leben krieseln. Wie
schlechte Milch im Kaffee oder gute Milch im Saft. Wir haben einen seltsamen
Beigeschmack der wahrscheinlich auch die ganzen somatischen Beschwerden
ausreichend erklärt. Zu diesen kommt das ständige Gefühl denn Sinn des Lebens
nicht erkennen zu können, oder schlimmer, dass Leben an sich nicht verstanden zu
haben. Obgleich man seit sieben Jahren zumindest zeitweise für Erwachsen
erklärt wurde, hat man nun den Eindruck, dass es sich bei dem Begriff
Erwachsensein um einen Reinfall handelt, der mit ständigen Zukunftsfragen und
Ängsten gekoppelt ist. Alle W-Fragen die man anderen nie stellen soll, stellt
man sich selbst zu jeder Tag und Nachzeit. Ich wache schweißgebadet auf und
frage mich „Was will ich?“. Auch wenn ich seitenweise Listen angefertigt habe,
auf denen genau diese Frage beantwortet wurde, finde ich keinen adäquaten
Umgang mit meinen ambivalenten Antworten. Manchmal sehe ich mich als Aussteiger
mit einem Berg an Lindt-Schokoladen und faserarmen Mangos in einem Baumhaus
sitzen, das eine extra heiße Regendusche und einen Infinitypool besitzt. Manchmal
sehe ich mich in einem Garten mit Kind, das einen Blumenkranz trägt und im
Planschbecken herumhüpft. Es braucht immer eine Weile bis ich dieses Kind als
mich selbst – 1992 – identifiziere. Meine Lebensvorstellungen haben sich dabei kaum
weiter weiterentwickelt. Als Kind wollte ich Tänzerin, Walretterin oder
Modedesignerin werden, alles gleichzeitig! Meine Inspiration hatte ich damals
schon von lebhaften Fotos oder romantischen Filmen, in denen eine Frau durch
ihr Talent und Engagement berühmt (aber einsam) wurde. Manchmal ertappe ich
mich auch heute noch dabei, wie ich die Vorstellung, mit einem Helikopter auf
meinem alten Schuldach zu landen immer noch recht verlockend finde. Aber ich
habe mich auch mit dem Einsam-sein weitestgehend abgefunden. So sollte es in
meinem Baumhaus deshalb auch ausreichend Platz für Übernachtungsgäste und ein
extra großes Bett geben. Wo ist die Sinnhaftigkeit? Wo das Identitätsgefühl? Die
Quarter-Life-Crisis scheint bild und taub zu machen. Der Sinn der fast überall
drin steckt, wird unsichtbar, langweilig, trüb und grundsätzlich hinterfragt. Schwimmend
im Kriesel-Wasser sehen alle Anderen so aus, als hätten sie einen aufgehenden
Lebensplan. So, als wäre man der einzige postmoderne Krüppel. Klar, kenne ich die
Statistiken, aber das ändert nichts am Krisenherd. Die offensichtlich sehr
Ich-bezogene Suche nach einem Sinn, verstärkt sich bei echten Krisen der Menschheit, wie
Hunger, Armut und Flucht, denn spätestens jetzt wird klar: man ist ein
verdammter Narzisst. Einer der Mal den Eindruck hatte, die ganze Welt könne von
ihm gerettet oder zumindest umgekrempelt werden und dann feststellt, dass das
Leben gewöhnlich einen anderen Sinn verfolgt. Angefangen bei so Lappalien wie
Mangos essen – natürlich die faserarmen.