Sonntag, 13. September 2015

Es krieselt.


Es ist Tag X deines Lebens und du stellst dir tatsächlich immer noch die gleichen Fragen. Sie fangen mit einem leichten Kopfschmerz, Juckreiz und Schluckbeschwerden an und enden mit übertriebenem Durchfall. Der Mist will raus und weiß sich nicht anderes zu helfen. „Die Gesellschaft ist schuld“ zu denken hilft da nicht viel, denn ich weiß es ja eigentlich besser. Die Krise ist eine Wechselwirkung aus eigenen Anteilen und Umwelteinflüssen und ja, höchstwahrscheinlich hat sie auch Auswirkungen auf meine Bindungsfähigkeiten. Zusammen mit den weiter gegebenen Repräsentanzen und unbewussten Fantasien meiner Mutter, die nicht nur ihre Feinfühligkeit sondern auch meinen Geist vernebeln, plus meinem Trieb oder schöner formuliert meinem Temperament, sozioökonomische Umstände nicht zu verachten, erklärt es eigentlich alles. Also wahrscheinlich auch die Krise. Die fröhliche Aussicht, dass Menschen wie ich wahrscheinlich nie unter einer Midlife-Crisis leider werden, wirkt vermutlich wenig aufheiternd, wenn wir stattdessen unserer halbes Leben krieseln. Wie schlechte Milch im Kaffee oder gute Milch im Saft. Wir haben einen seltsamen Beigeschmack der wahrscheinlich auch die ganzen somatischen Beschwerden ausreichend erklärt. Zu diesen kommt das ständige Gefühl denn Sinn des Lebens nicht erkennen zu können, oder schlimmer, dass Leben an sich nicht verstanden zu haben. Obgleich man seit sieben Jahren zumindest zeitweise für Erwachsen erklärt wurde, hat man nun den Eindruck, dass es sich bei dem Begriff Erwachsensein um einen Reinfall handelt, der mit ständigen Zukunftsfragen und Ängsten gekoppelt ist. Alle W-Fragen die man anderen nie stellen soll, stellt man sich selbst zu jeder Tag und Nachzeit. Ich wache schweißgebadet auf und frage mich „Was will ich?“. Auch wenn ich seitenweise Listen angefertigt habe, auf denen genau diese Frage beantwortet wurde, finde ich keinen adäquaten Umgang mit meinen ambivalenten Antworten. Manchmal sehe ich mich als Aussteiger mit einem Berg an Lindt-Schokoladen und faserarmen Mangos in einem Baumhaus sitzen, das eine extra heiße Regendusche und einen Infinitypool besitzt. Manchmal sehe ich mich in einem Garten mit Kind, das einen Blumenkranz trägt und im Planschbecken herumhüpft. Es braucht immer eine Weile bis ich dieses Kind als mich selbst – 1992 – identifiziere. Meine Lebensvorstellungen haben sich dabei kaum weiter weiterentwickelt. Als Kind wollte ich Tänzerin, Walretterin oder Modedesignerin werden, alles gleichzeitig! Meine Inspiration hatte ich damals schon von lebhaften Fotos oder romantischen Filmen, in denen eine Frau durch ihr Talent und Engagement berühmt (aber einsam) wurde. Manchmal ertappe ich mich auch heute noch dabei, wie ich die Vorstellung, mit einem Helikopter auf meinem alten Schuldach zu landen immer noch recht verlockend finde. Aber ich habe mich auch mit dem Einsam-sein weitestgehend abgefunden. So sollte es in meinem Baumhaus deshalb auch ausreichend Platz für Übernachtungsgäste und ein extra großes Bett geben. Wo ist die Sinnhaftigkeit? Wo das Identitätsgefühl? Die Quarter-Life-Crisis scheint bild und taub zu machen. Der Sinn der fast überall drin steckt, wird unsichtbar, langweilig, trüb und grundsätzlich hinterfragt. Schwimmend im Kriesel-Wasser sehen alle Anderen so aus, als hätten sie einen aufgehenden Lebensplan. So, als wäre man der einzige postmoderne Krüppel. Klar, kenne ich die Statistiken, aber das ändert nichts am Krisenherd. Die offensichtlich sehr Ich-bezogene Suche nach einem Sinn, verstärkt sich bei echten Krisen der Menschheit, wie Hunger, Armut und Flucht, denn spätestens jetzt wird klar: man ist ein verdammter Narzisst. Einer der Mal den Eindruck hatte, die ganze Welt könne von ihm gerettet oder zumindest umgekrempelt werden und dann feststellt, dass das Leben gewöhnlich einen anderen Sinn verfolgt. Angefangen bei so Lappalien wie Mangos essen – natürlich die faserarmen.