Als ich eintauche ist das Meer angenehm warm und
so sauber, dass ich bis auf Grund sehen kann. Bis auf ein paar kleinere Wellen
ist es so ruhig wie selten. Die Sonne glitzert im tiefblauen Wasser, sie steht
mir tief ins Gesicht. Heute sind außer mir nur ein paar wenige Menschen im
Wasser und scheinen sich verhältnismäßig ruhig zu benehmen. Ein guter Tag. Sie
reden kaum, sie spritzen nicht, sie kraulen nicht gegen einen. Sie schwimmen
friedlich nebeneinander hin und her. Hin und her. Dann hört das Meer auf, dann
beginnt glitschiger Fließenboden, Pommesgeruch und schreiende Kinder. Von all
dem bekommt man im Meer heute nichts mit. Meine Hände gleiten durchs Wasser,
mein linker Fuß zappelt ein wenig zu unprofessionell, aber ansonsten gleite
ich. Ab und zu muss ich mir irgendein weißes oder schwarzes Haar von der Hand
zupfen, die ich ab und zu wie kleine Trophäen einsammele. Klares Wasser hat eben auch so seine
Nachteile. Heute stört mich das weniger, denn seit dreißig Minuten fühle ich mich
wie ein Delfin, naja mindestens wie eine Wasserschildkröte oder wie ein
Goldfisch im Glas, aber mindestens wie ein relativ glücklicher. Seit zehn
Minuten schwimmen nur noch drei Frauen mit unreiner Haut durchs Becken. Ich
lächele verbunden. Im Meer sind Pickel, Fett und Dellen egal, im Meer schwimmt
alles oben, im Meer wird alles geheilt. Das Meer trägt die Sorgen aller
Menschen einfach fort und löscht sie. Als ich diesen klugen Gedanken formuliere
weiß ich, diese Ode ans Meer muss ich unbedingt aufschreiben. Dann erinnere ich
mich an unschöne Tage im Meer. Tage, an denen ich um mein Recht aufs Schwimmen
kämpfte, so als ginge es um mein Leben. Ging es ja irgendwie auch. Ich sehe
mich am Rand stehen und auf dreihundert Menschen blicken. Auf 30 Quadratmeter
Meer verteilt! Todesmutig nehme ich die kleine Treppe und versuche mich
einzuordnen ohne dabei große Unruhe zu stiften, ohne dabei mehrere Menschen
umzubringen, ohne selbst dabei umgebracht zu werden. Als mich ein
Schmetterlings-Monster über den Haufen schwimmt weiß ich, mit Vorsicht komme
ich hier nicht weiter. Also schwimme ich geradeaus, mit meinem schlimmsten,
unausweichlichsten Blick. Ein paar Krauler bekommen meinen Killermodus
natürlich nicht mit, also lande ich innerhalb einer Minute am äußersten
Meeresrand direkt neben dem Schul/Vereins-Meer-Abteil in dem nur
Schmetterlings-Schmetterer schmettern. Das Meer hat inzwischen locker zwei
Meter hohe Wellen, aber ich lasse mich nicht untertauchen und halte dies für
eine gute Selbstbehauptungsübung. Quasi so wie Bretter durchschlagen, nur im Meer. Am Ende schwimme ich nur noch mit hundert
zufriedenen Survivors in den inzwischen deutlich seichtern Gewässern. Heute ist das Meer jedoch so still und zart zu mir, dass ich mich frage ob nicht gerade etwas Phänomenales wo anderes
passiert. Der Weltfrieden tritt ein und ich schwimme? Egal. Ich erinnere mich dann, es
ist drei Uhr und alle meine Kommilitonen sitzen in der Uni. Alle meine Kollegen
sitzen an der Arbeit. Ich erinnere mich, dass ich alles absagte (damit meine ich eher, dass ich zu mir - so im Stillen - sagte: "ich sage ab") und
beschlossen hatte eine Auszeit zu nehmen (damit meine ich eher, dass ich einfach nirgendwo hinging). Ans Meer zu fahren und einfach
abzutauchen. Also tauche ich für die letzten Meter ab und schwimme meine letzte
Bahn als graziler, freundlicher Delfin. Nur ohne zu atmen natürlich. Als ich völlig
hechelnd, dehydriert, voller Bazillen, Keime und Bakterien am Beckenrand auftauche, schmecken meinen
Lippen dann fast ein bisschen salzig.
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