Donnerstag, 25. September 2014

Hambosch-(High)Lights







(High)-Lights findet man jede Menge, wenn man sich nach seinem Feierabendkuchen plus Kaffe, spontan zu einem Feierabendspaziergang entschließt, ziemlich blind in eine Richtung tappt und sich fünf Kilometer durch die Stadt tragen lässt. Am Ende eines Freitags sitzt man dann völlig erschöpft aber auch ziemlich glücklich in der U-Bahn, freut sich auf einen verdienten Feierabend-Cidre und einen Tag ausschlafen. Dinge die man in in einer temporär existierenden Arbeitswelt noch mal ganz neu zu schätzen lernt. 






Dienstag, 23. September 2014

Die Busdamen

Die Fahrt auf dem Damm, aus der Stadt zurück ins Nirgendwo ist ein lustiges Schauspiel, das ich tendenziell zwar mitbekomme, aber meistens zu müde bin. Ich sitze dort, gähnend wie immer, am selben Platz. Dem vorletztem Platz  vor der hinteren Tür, links. Gerade habe ich ein Franzbrötchen verschlungen und meinen lauwarmen Kaffee nach ein paar hektischen Zügen und uneleganten Bewegungen aufs Busgleis geworfen. Die braune Soße zieht dort nun ihre Kreise, während wir schwankend durch die Stadt brausen. An meinem Mundwinkel hängt noch ein kleiner Kaffe-Zimt-Rest, ich spreche mein morgendlichen „oh Gott ich bin soo müde“ Mantra. Nach ein paar Schritten im Halbschlaf, fange ich damit spätestens in der Dusche an. „ich bin soo müde, ich bin so müde, oh Gott, so müde bin ich.“ Dabei schaue ich besonders mitleidig und denke mein Mantra in einem besonders flehend-leidigen Ton. Es ist nicht so, dass ich denken würde es gäbe einen Gott, der mir darauf eine adäquate Antwort geben könnte. Es ist auch nicht so, dass das Mantra überhaupt eine Frage enthielte. Aber ich höre erst wieder damit auf, wenn ich mit einem lebendigen Menschen sprechen muss. Eine Vielzahl lebendiger Menschen steigt bereits an der nächsten Haltestelle ein. Die Vielzahl ist weiblich und alt. Da ich keine alten Menschen kenne, begutachte ich sie aus distanzierter Entfernung und komme zu keiner Antwort. Nicht dass ich eine Frage gestellt hätte. Die alten Damen sind wirklich sehr alt, sehen dafür aber vergleichweise jung aus. Nicht, dass ich Vergleiche hätte und tatsächlich wüsste, wie alt die fröhlichen Weiber wären, aber so lautet jedenfalls meine Ferndiagnose. Also ziehe ich meine rot leuchtenden Kopfhörer ab und lausche gespannt. Hinter mir haben zwei dieser Sorte Platz genommen und fangen ein freundliches Gespräch über ihre Enkelkinder an. Da diese bereits studieren, begünstigt dies meine Theorie, dass sie älter als 50 sind und halte meine erste Hypothese dieses müden Morgens für bestätigt. Ich lächle zufrieden und nicke den Damen im Vierer vor mir ermunternd zu. Sie nehmen keinerlei Notiz und unterhalten sich über ihrer toten Ehemänner und das Viertel, durch das wir gerade fahren. Dieses dem Hören-Sagen nach scheinbar sehr asoziales Viertel bietet sowieso viel Unterhaltungsstoff, so scheint es. Immer wieder ruft die Invasion entzückt irgendwas wie „ach oder lass uns einfach dort essen!“. Dann zeigen sie auf die Dönerbude und lachen. Entzückend. „immer dieses Fast Food...“ beginnt daraufhin die Dame hinter mir. „Fast Food“ dehnt sie dabei so lang, wie man diese zwei Wörter nur dehnen kann. Es hört sich an, als hätte sie von diesem seltsamen Herrn Fast Food erst kürzlich in einer Reportage bei „Mona Lisa“ gesehen. Mona Lisa ist das einzige, was ich mit alten Menschen verbinde, da ich genau zwei alte Menschen kennen, die genau dieses Magazin schauen. „immer diese Hektik“ schnaufen sie leidvoll. Jetzt hört sie sich an, als würde sie mich morgens unter der Dusche beim Hass-Mantras sprechen nachahmen. „ich kann dass sowieso nicht verstehen, diese jungen Frauen, die immer mit so einem Cappucino im Pappbecher herum rennen müssen“ sie schüttelt mit dem Kopf „dass man da nicht stolpert oder hinfällt und sowieso, diese Pappe schmeckt doch ekelhaft“. Sie sieht eine Schnute, ihre Sitznachbarin fängt an eine Episode ihrer letzten Stütze aufzuzählen und ich werde rot. Ich fühle mich – zusammen mit meiner Kaffee-Lache – ertappt, drehe ich mich um und sage demonstrativ „und ich verstehe keine alten Damen wie sie“. Ich zeige mit dem nackten Finger auf die angezogenen Damen, die aber anscheinend nicht nur schlecht hören, sondern auch nichts sehen, ihre angeregte Unterhaltung fortsetzen und ich keinerlei Aufsehen errege. Schade. Wir kommen an einem Altersheim vorbei und die Weiber fangen schon wieder mit ihren Scherzen an, die ich nicht verstehe. Der Konsens ist: es sieht schick aus, es ist am Deich und ein Lidl ist direkt daneben. Ob in der Stimme der Alten ein ironischer Unterton liegt, kann ich nicht mit letzter Bestimmtheit sagen. Ich sehe mir die Frauen genauer an und frage mich, was sie in ihrem Leben gemacht haben, dass sie jetzt heute hier mit mir eine Stunde auf dem Deich herumfahren und dabei auch noch so quietschfidel sind. Ich frage mich ob sie auch mal jung waren, in einem Bus saßen mit alten Damen saßen und sich fragten, was für ein Leben sie hatten. Wie immer komme ich zu dieser Uhrzeit – inzwischen halb elf immerhin – zu keiner richtigen Antwort. Wie immer schweife ich völlig ab und male mir aus, dass die alten Damen sich vielleicht gerade in diesem Moment Gedanken über das junge Mädchen machen, dass sie da schon eine ganze Weile so seltsam beäugelt. Denken die etwa ich sei noch minderjährig? Ich begutachte in meine Falten im Iphone Apfel und schaue besorgt aus dem Fenster. Unmöglich. Außer Deich nicht viel zu sehen. Ich stelle mir vor, was sie mir für ein Leben auf den Maß schneidern würden und ob sie dabei etwas von den Hass-Mantras ahnen. Ich komme zu keiner Antwort. In ihren faltigen Gesichtern lese ich nur Fragezeichen. Inzwischen weiß ich aber, dass sie zum Schwinggolf auf den Deich fahren und früher einmal hier draußen wohnten. Hinzu fantasiere ich, dass sie alle einmal in der selben Dorfklasse saßen und Hüpfseil in der Pause spielten. Natürlich alle waren in den einen Kerl verliebt, der heute unserer Busfahrer ist. Deshalb auch die kindliche Aufgeregtheit! Eines Tages hatten sie beschlossen, nach hunderten von Jahren einmal wieder zu kommen und zusammen zum Swinggolf zu gehen. Sie haben eine Art Pakt geschlossen, der heute in Erfüllung geht. Aus Südafrika, New York und Mallorca waren sie angereist um heute diesen feierlichen Schwur zu bestreiten. Anders kann es ja nicht gewesen sein. Vor lauter Aufregung haben die Damen ihre Haltestelle verpasst und lachen schon wieder darüber. Sie sehen fröhlich aus, mit ihren bunten Schals, Sonnenbrillen und Outdoor-Klamotten. Jede für sich ein Unikat. Ich würde sie gerne ausfragen und dann in ein Museum stellen, damit auch andere an diesem Phänomen teilhaben können. Vielleicht würde ich die ein oder andere Dame fragen, ob sich mich als Enkelin adoptiert und mir meine Alters-Xenophobie nimmt. Nur wie ich mit ihnen kommunizieren soll, weiß ich noch immer nicht. Ich strampele unbeholfen. Der Lauf der Dinge lässt sich aber wie immer nicht mehr aufhalten. Quietschend hält der Bus, ihre gemeinsame Jugendliebe winkt Ihnen herzlich zu und die alten Ladys springen lachend auf. Sie würdigen mir keines Blickes, auch wenn ich sie noch so wehmütig hinterher schaue, während sie albern plappernd in Richtung Schwinggolf traben. Wie ein paar Ponys auf Schulausflug.