Du sitzt mir
gegenüber, am anderen Ende des Raumes. Alles was wir teilen sind eben dieser
und die Zeit, die unendlich scheint. Wir kennen uns nicht, alles was wir wissen
scheint offensichtlich. Deine Augen sind müde, deine Haltung gleicht die eines
nassem Sack. Ich mutmaße, dein Nacken spannt, dein Kopf ist diesig. So wie
meiner. Wir wissen, wir sind unterwegs, wir wissen wir kommen bald an. Wohin du
willst ist genauso rätselhaft wie warum du dorthin willst. Wir teilen
unendliche Stunden, sitzen ab und warten auf einen Anschluss, der nicht kommt.
Du trägst braune Lederschuhe, deine Hände liegen zusammen geknäult in deinem Schoss.
Immer wieder schaust du von der Anzeigentafel aus dem Fenster, auf deine Schuhe
und ab und an schweift dein Blick ratlos durch den Raum. Wir teilen das
Sichtfeld, wir sichten eine dicke Frau die umständlich versucht ihren Schuh zu
binden. Wir teilen ein Schmunzeln, einen verkniffenes Lachen als wir beide hoch
schauen. Deine Augen leuchten, aber wir kennen uns nicht. Vielleicht kommst du
aus reichem Elternhaus, deine Kleidung sieht irgendwie reich aus - aber auch betont einen auf lässig gemacht. An deinem
Arm funkelt eine goldene Uhr, die dich entweder ein Vermögen gekostet hat oder du ein echtes Flohmarkt-Opfer bist. Vielleicht hast du ein Ferienhaus in
Südfrankreich, vielleicht eine Patenschaft für einen Wal, ich kann da jetzt nur
mutmaßen. Deine Schwester wohnt in Paris und backt dort kleine Kuchen, deine
Eltern sind beide Kinderärzte. Du verbringst deine Ferien gern im Bett, mit dem
in oder anderen blonden dünnen Mädchen natürlich. Du würdest nie heiraten, nie
jemanden deine Liebe gestehen, dafür hast du viel zu viel Angst. Du wirkst
nervös vielleicht hast du also auch Angst vorm Fliegen, oder Angst einen deiner
Flammen wieder zu sehen. Du rauchst, aber eigentlich wolltest du längst
aufhören, wenn du bei deinen Eltern bist, putzt du dir vorher extra drei Mal
die Zähne und legst neues After Shave auf. Du benutzt eines das ein bisschen
nach Pinien und Zeder riecht, du rasierst dich nicht regelmäßig weil du weißt
die dünnen blonden Mädchen stehen drauf. Du brauchst jemanden der dir Freiraum
gibt, dir aber ab und zu einen Kaffee macht. Jetzt schaust du wieder hoch,
vielleicht nickst du. Du magst Jazz und starken Gin, wenn du betrunken bist,
siehst du aus wie ein waschechter Rockstar. Das magst du, das mögen die Frauen.
Eigentlich bist du Sternzeichen Löwe, aber du erzählst allen Fremden du seist
Skorpion. Du denkst das macht dich interessanter und die Frauen gebend dir wie
immer Recht. Also feierst du mit ein paar Auserwählten am 13.November. Im
Grunde ist das dein größter Clou. Du denkst, du bist besonders gewitzt, aber viele
belächeln dich deswegen. Sie denken du bist einfach nur ein Wichtigtuer, ein
kleiner Großkotz. Die, die deine Eltern und das Haus in Südfrankreich kennen,
denken außerdem du bist ein kleines Arschloch. Trotz wollen sie immer mit dir
dorthin, natürlich. In deinem Handgepäck hast du ein Buch von Kafka und eines
von der Spiegelbestsellerliste. Kakfka liest du nur so zum Schein, damit die
dich beobachten denken du studierst irgendwas besonders Cooles, so was wie
Literatur und Kunst. Stattdessen studierst du Medizin, klar wie deine Alten.
Deine Profs sind alte Saufkumpanen deiner Eltern. Damit das weniger auffällt
erzählst du deinen Kommilis deine Eltern seien Schriftsteller. Gefuchst wie
immer, aber klar, die Hälfte hat es wieder durchschaut und denkt nun du seist ein
kleiner Spinner. Natürlich weißt du was geredet wird, aber du versuchst es zu
ignorieren. Genau wie die Blicke, die im Grunde nicht mehr zu ignorieren sind.
Von der Verrückten gegenüber, von der mit dem Notizblock auf dem Schoß.
Wahrscheinlich schreibt sie Tagebuch oder irgendwie so was Bescheuertes. Du starrst
mich kurz an und ich erschrecke. Kurz denke ich, du weißt es. Du weißt was das ich hier gerade dein Leben abhandle. Dann schüttele ich nur mit dem Kopf und lächle während du wahrscheinlich
langsam Panik bekommst. Draußen fliegen Flugzeuge irgendwo hin. Starten, kommen
an. So wie wir. Teilen Zeit und Raum. Für ein paar Stunden unseres Lebens. Dann
sehen wir uns nie wieder, teilten nie mehr als ein paar Blicke und ein völlig übertriebenes Kopfgespenst. Wir verschwinden
in unseren Welten. Stattdessen könnten wir jetzt Crossaints essen gehen und
danach ein Hotelzimmer nehmen. Stattdessen könnten wir zusammen deine Schwester
in Paris besuchen und ihr beim Kuchen backen zu sehen. Wir könnten nach
Südfrankreich, ich würde deine ganze Gefuchsheit bewundern und niemand von
deinem zweiten Geburtstag erzählen. Alle würden stauen. Die zwei die sich
zwischen zwei Flügen kennen und lieben lernten. Dein Kopf neigt sich langsam Richtung quitschiger Fußboden; könnten ein Zeichen der Zustimmung sein, oder aber eines dafür, dass du jetzt langsam weg nickst. Der Flieger ist bereit, er
ruft schon nach uns. Langsam und wieder einmal betont lässig packst du dein Zeug, versicherst dich ob du
auch wirklich alles hast, bindest deine brauen Lederschuhe nochmal, schaust auf deine Bonzenuhr. Vielleicht bist du der schlimmste Spießer den ich jemals am Flughafen beobachten konnte, vielleicht auch nicht. Dann schaust du hoch und hebst die Hand, schaust mich an und lächelst ein müdes, verzaustes Hollywood-Lächeln. 'Aurevoir' sage ich und lache mich dann, später, über den Wolken, ein bisschen selber aus.
"Einmal Tomatensaft mit Salz und Pfeffer". Ein typischer Snobbi-Satz.