Freitag, 23. Oktober 2015

How not to get lost in Marseille!


Marseille fühlt sich im ersten Moment so französisch an wie Bockwurst. Dann stellt sie sich als wunderbare Hafenstadt vor, die multikulturell, künstlerisch und großstädtisch ist, aber auch still und erholsam sein kann. Zum Beispiel wenn man in einer einsamen Fischerbucht mit Blick auf die laute und - für französische Verhältnisse -dreckige Stadt schaut und immer noch in Marseille ist, wenn man einen der vielen grünen Aussichtspunkte erklimmt oder Ausflüge in die Umgebung wagt. Marseille erinnert an viele andere Städte und wandelte sich von einer Gangsta-Ville zu einem (noch relativ unbekannten) Urlaubsort mit Seifengeruch in den U-Bahn-Stationen. Meine Eindrücke und Lieblingsorte habe ich hier als kleinen Reiseguide zusammengefasst. 

Auf dem Weg vom Bahnhof zur Ferienwohnung kommt es mir so vor, als hätte ich einen Abstecher in ein arabisches Land gemacht. Auf den kleinen Gassen sitzen Männer, zwischen Handy-Läden, Schneidereien und Imbissbuden, trinken Tee und starren auf unsere kurzen Röckchen und tiefe Ausschnitten. Das Viertel Belsunce (unterhalb des Bahnhofs Saint Charles bis zum Hafen und der Einkaufsmeile La Canabiére) ist lebendig, aber auch relativ Frauen-frei. Von der perfekten Verschleierung in pink über massenweise importierte Birkenstocks zu günstigen kleinen Läden, die von Obst bis Fotoautomaten alles haben und anbieten (aber manchmal weit über das Haltbarkeitsdatum hinaus). La Canabiére ist eine überfüllte Einkaufsmeile mit wenig Charme und austauschbaren Läden, an der man sich allerdings gut verorten und orientieren kann. Während es östlich der Rue de Rome viele kleine afrikanische Geschäfte gibt, sind die westlichen Seitenstraßen der Canabiére eher kommerzieller Mainstream. Süd-östlich der Canabiére am Marché de Noailles findet man ein buntes  - möglicherweise zerquetschendes - Marktleben


Am Vieux Port (alter Hafen) bekommt man frischen Fisch und gute Fotomotive und kann  von dort aus wunderbar über den Quai du Port die Ober- und Altstadt erkunden. Für mich ist Le Panié(nördlich, oberhalb des alten Hafens) eine perfekte Mischung aus Granada und Lissabon, zu dem ein Hauch seifig-französischer Flair gemischt wurde. Durch die kleinen Gassen auf und ab zu wandern, die kleinen teils skurrilen und künstlerischen Läden abzuklappern und sich irgendwo einen Café zu genehmigen, sollte ein jedermanns/ jederfraus Tagesplan sein, wenn es einen nach Marseille verschlägt. Wunderbar Ausruhen kann man sich zum Beispiel auch am Fuße des Le Panier, im "Cup of tea" (Salon de thé -Librairie- Café) in der Rue Caisserie 1. Im Vieille Charité (in der Rue de la Charité), einem ehemaligen Hospiz, befindet sich heute ein interessantes Museum und Kulturzentrum mit wechselnden Ausstellungen. Davor befindet sich einer der potentiellen Ausruh-Kaffee-Plätze. 

Im Szene- und Ausgehviertel Cours Julien (zwischen der Metro Noailles und dem Notre Dame du Mont), das früher eher zum düsteren Gangsta-Marseille gehörte, kann man in einem der zahlreichen Cafés oder Bars wunderbar (und relativ günstig!) den Abend ausklingen lassen, den Kakerlaken im Sommer mein erschrecken der Sitznachbarn oder bei einem spontanen Konzert zusehen. Vorsicht sei vor allem bei Vollmond geboten, wenn Druffis und Suffis aufeinander fallen. Ansonsten hatte ich in Marseille weniger Angst vor Mensch und Gewalt, sondern eher vor riesigen Monster-Ratten die mit Einbruch der Dunkelheit (im Hochsommer) die Stadt vereinnahmten. In diesem Sinne: watch your steps!

Wenn man genug Zeit hat, sollte man auf alle Fälle einen Ausflug zu den Inseln Les îles direkt vor der Bucht vor Marseille machen. Während die kleinste der Insel hauptsächlich aus der Burgruine Château d'If besteht, kann man auf der Zwillingsinsel îles du Frioul kleine Wanderungen zu wunderbaren Calanques (kleine Buchten) machen und im türkisen und unglaublich klaren Wasser der Calanque de Saint Estéve baden. Die karge und fast unbewohnte Natur der Insel  könnte außerdem prima als Filmkulisse für Western, Aktion -Blockbuster oder griechischen Dramen fungieren. Boote nach Frioul fahren ca. alle halbe Stunde vom alten Hafen (südliche Seite) ab.

Weitere Marseille-Hightlights und Erholungsorte findet man unterhalb der Kernstadt in den Fischerorten Les Goudes oder Callelongue. Von Les Goudes kann man außerdem bis zur südlichsten Spitze Cap Croisette von Marseille laufen (30min) und hat dort eine großartige Sicht aufs Meer und weitere kleine Inseln. Für Wanderungen in abgelegenen Calanques sollte man (im Sommer) immer erst überprüfen ob diese auf Grund der hohen Waldbrandgefahr in der Gegend überhaupt begehbar sind. Dafür ruft man am Besten eine (auch englisch sprachige) Hotline am Abend (ab 19 Uhr) vor dem Ausflug an, auch die Touristeninformation hat die Infos für eine mögliche Sperrung erst am Vorabend. Zu den Orten gelangt man am Schnellsten mit Bussen (Nummer 19 nach Madrague) ab dem Verkehrsknotenpunkt Rond-Point du Prado (der auch eine große U-Bahn Station hat), die auch zum großen Stadtstrand Plage du Prado fahren. An der Endhaltestelle von La Madrague steht dann ein weiterer Bus (No. 20) bereit, der einen über eine kurvige Straße über Les Goudes bis nach Callelogne bringt. 
Auch ein langer Strandspaziergang am Plage du Prado entlang bis zum Pointe Rouge (immer Richtung Süden) eignet sich als nette Abwechslung zum innerstädtischen Leben. Vom (im Sommer teilweise übervollen) Strand bietet sich ein toller Blick auf die genannten Les îles und man hat zahlreiche Möglichkeiten mal eben ins klare Wasser zu hüpfen
Wenn man länger als zwei Tage in Marseille verbringt, sollte man sich am Anfang direkt in eins der vielen Fotoautomaten (z.B. in Belsunce) setzen, kurz lächeln und dann in eine der Schlangen in den U-Bahn-Stationen stellen. Dort bekommt man für unschlagbare 13€ für eine Woche lang eine Metro- und Bus-Karte, die in der kompletten Marseille-Region (bis zu den abgelegenen Fischerorten) gültig ist. 


Vielleicht zum Abschluss noch ein paar Worte zu meinem Lieblingsthema Essen. In Frankreich ist (gut!) Essengehen teuer (20€ pro Gericht aufwärts), so dass man sich überlegen sollte, vielleicht lieber eine Übernachtungsmöglichkeit mit Küche zu nehmen. So kann man die Abende mit ausschweifenden Kochaktionen zelebrieren und hat am Ende des Urlaubs immer noch ein paar Kröten für frische Croissants und ein noch warmes Baguette am Morgen übrig. Oder shoppt ein paar Seifen (Marseille ist DIE Seifen-Stadt schlecht hin) und bringt jedem, der es verdient hat eine Flasche Pastis (Marseille ist DIE Anis-Schnapps-Stadt) mit. In diesem Sinne: fröhliches Betrinken…. äh Abenteuer!